Passivhaus ganz groß in China
Passivhaustagung der Superlative
Die 23. Internationale Passivhaustagung 2019 in Gaobeidian fand erstmals außerhalb deutsch- sprachiger Länder statt. Sie stellte in jeder Hinsicht eine Passivhaustagung der Superlative dar.
Neben 350 internationalen Kongressteilnehmern aus 50 Ländern der Welt waren 800 Teilnehmer aus China. Darüber hinaus besuchten in drei Tagen über 35.000 Besucher die Passivhaus-Fachausstellung am Windoors City Festival Areal, die die Vorträge über Liveübertragungen in anderen Hallen ebenso verfolgen konnten. Die ganze Stadt Gaobeidian mit immerhin über 600.000 Einwohnern war auf diese Tagung eingestimmt. Überall ist man durch Ankündigungen mit bis zu 30 Meter breiten Transparenten und über 500 Beach Flags entlang den Straßen auf die Passivhaustagung hingewiesen worden. Auf jedem öffentlichen Bus in der Stadt und bei den Bushaltestellen ebenso, wie auch überall die Maskottchen der Tagung - ein Eisbär und ein Pinguin - zu sehen waren. Mit weit über 100 chinesischen Politikern und hochrangigen Verwaltungsbeamten war das Interesse des offiziellen Chinas deutlich sichtbar. Um diese große Tagung ausrichten zu können unterstützten auch über 500 Volontäre von der Universität Baoding den reibungslosen Ablauf.
Warum bauen wir überhaupt noch anders?
„Es war genau die richtige Entscheidung, nach China zu gehen. Das Engagement zum höchst energieeffizienten Bauen und zur nachhaltigen Entwicklung beeindruckt uns, gerade hier in der Provinz Hebei. Wir gehen diesen Weg gerne weiter mit“, erklärte Prof. Dr. Wolfgang Feist, Gründer des Passivhaus Instituts. Auf den Punkt brachte es in ihrer Plenumrede Prof. Diana Ürge-Vorsatz, CEU und Vice-Chair in WG III, Intergovernmental Panel on Climate Change: „Jedes Gebäude von heute an, welches schlechter als in Passivhaus- oder Zero-Energy-Standard errichtet oder saniert wird, bindet uns an eine Zukunft mit höheren Temperaturen. Passivhäuser sind mit demselben Budget möglich wie andere Gebäude, außerdem gesünder, warum bauen wir überhaupt noch anders?“
Und Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, Co-Präsident des Club of Rome, folgerte in seiner Rede: „Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Alleine an den asiatischen Küsten leben 1,3 Milliarden Menschen die in den kommenden Jahrzehnten direkt durch den Meeresspiegelanstieg betroffen sein werden und zu Flüchtlingen werden. Aber das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist noch erreichbar. Allerdings unter großen Anstrengungen. Die Zeit ist sehr knapp“.
„Mit der ersten Passivhaustagung in China sei der Grundstein gelegt, dass mit dem Passivhaus-Standard in der Provinz Hebei auf die Zukunft gesetzt wird“, erklärte Vizegouverneur Zhang Gujiang. Während der gesamten Tagung war der Vizegouverneur der Provinz Hebei, mit 75 Millionen Einwohnern beinahe so groß wie Deutschland, anwesend. Und am Vortag lud Xu Qin, Provinzgouverneur von Hebei zu einer High-Level-Runde ein. Daraus alleine ließ sich schon jener Stellenwert deutlich ablesen, den China dem Passivhaus einräumt.
Österreich mit allen Ehren empfangen
Neben dem Vizegouverneur der Provinz Hebei war der österreichische Botschafter der höchstrangige internationale Repräsentant bei der Tagung und wurde mit allen Ehren empfangen. In seiner Begrüßungsrede zeigte sich Botschafter Dr. Friedrich Stift beeindruckt von der Geschwindigkeit der Umsetzung energieeffizienten Bauens, wie es speziell am Tagungsort Gaobeidian mit der gleich weltweit größten Passivhaus-Siedlung vorgezeigt wird. Er lud die chinesischen Freunde ein, auf das seit zwei Jahrzehnten existierende Know-How aus Österreich zurück zu greifen und gemeinsam an der Erreichung der Pariser Klimaschutzziele zu arbeiten. Österreich hat mit 1.430.000 m² Energiebezugsfläche derzeit noch die weltweit meiste dokumentierte Fläche an Passivhäusern.
Nach den Begrüßungsreden gab es eine eigene Führung für den Botschafter Dr. Friedrich Stift und den Handelsdelegierten Martin Glatz durch das Passivhaus-Museum, den Passivhaus Musterpark und die Passivhaus-Ausstellung unter Begleitung von rund 100 chinesischen Politikern und Entscheidungsträgern und einem Dutzend Kameras im Gefolge. So wurde ihm unter anderem eine wärmebrückenfreie Fenstereinbau-Komponente „Made in Austria“ vorgestellt, von der bereits 1 Million Laufmeter in China verkauft wurden, die aber in Österreich noch völlig unbekannt ist.
Gestern 100.000 m², Heute 1 Mio. m², Morgen 1 Mrd. m² Passivhaus in China
Ni Haiqiong, Geschäftsführer von Mitveranstalter Orient Sundar Group, betonte wie Energieverbrauch und Umweltverschmutzung ernsthaft zugenommen haben. Er skizzierte die Entwicklung in China von traditionellen Fenstern und Türen hin zur breiten Palette an Passivhaus-Komponenten. China hatte Ende 2018 nur 59.516 m² dokumentierte Fläche in der internationalen Passivhaus-Datenbank und konnte diese binnen sieben Monaten verdoppeln. Bis Jahresende geht Günter Lang von LANG consulting davon aus, dass China mindestens 500.000 m² dokumentiert haben wird. Derzeit sind mehrere Millionen m² Passivhaus-Fläche in China in Bau. So sagte Xu Wei, die Vorsitzende der China Passive Buildings Alliance in ihrer Rede, dass derzeit in China 173 Gebäude mit 1 Million m² Passivhaus-Fläche gebaut sind und es bald 1 Milliarde m² sein werden. In der weltweit größten Passivhaus-Siedlung wurden mit der Tagung 330.000 m² zertifizierte Passivhaus-Wohnfläche in der Bahnstadt Gaobeidian den Bewohnern übergeben, bestehend aus acht Wohnhochhäusern mit je 28 Stockwerken, 12 Mehrfamilienhäusern und 6 Villen. Weitere 300.000 m² sind bereits im Bau und im Endausbau soll die Bahnstadt 1,2 Millionen m² Passivhaus-Wohnfläche umfassen.
China strebt Führung beim Klimaschutz an
Damit ist China nicht nur in den Bereichen von Solarenergie, Windkraft, Hochgeschwindigkeitszügen und Elektromobilität weltweit die führende Nation in der Umsetzung von Klimaschutz Maßnahmen, sondern in Kürze auch mit dem Passivhaus bei der Umsetzung energieeffizienter Neubauten weltweit führend. Die künftig noch große Herausforderung wird die thermisch optimierte Altbausanierung und die generelle massive Reduktion von Ressourcenverbrauch sein. Jedenfalls kann man aber bereits eine deutliche Verbesserung der Luftqualität in den Städten wie Peking in den letzten sieben Jahren feststellen. So sind in Peking bereits 98% des motorisierten Zweiradverkehrs elektrisch unterwegs. Busse, Klein-LKW und natürlich PKW sind ebenfalls überproportional im Vergleich zu Europa bereits elektrisch unterwegs. Damit hat sich die bequeme Ausrede endgültig ad absurdum geführt: „Was soll Österreichs Vorreiterrolle zum Klimaschutz bewirken, wenn in China nichts passiert.“